Fischer: Möglichkeiten zur Abbildung der Pflege in DRG-Systemen.

Z I M - Auszug DRG+Pflege       Sept. 2001
Letzte Änderung: 07.03.2003


Möglichkeiten zur Abbildung der
Pflege in DRG-Systemen

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


Auszug aus:
Fischer W:
Diagnosis Related Groups (DRGs) und Pflege
Grundlagen, Codierungssysteme, Integrationsmöglichkeiten
ISBN 978-3-456-83576-1
Huber-Verlag, Bern

      
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Inhaltsverzeichnis

 

E Möglichkeiten zur Abbildung der Pflege in DRG-Systemen

 

E.1 Vorbemerkung

 

E.2 Ansatzpunkte zur Abbildung der Pflege

 

E.3 Abbildung von Pflegekosten in DRG-Kostengewichten

 

E.3.1 Tagesgleiche Pflegesätze

 

E.3.2 Leistungsbezogene Pflegesätze

 

E.3.3 Pflegegewichte pro DRG

 

E.4 Abbildung von Pflegekosten mittels CC-Kategorien

 

E.4.1 Transcodierung von Pflegediagnosen nach ICD-10

 

E.4.2 Erweiterung der CC-Listen

 

E.4.3 Ergänzung der CC-Listen durch weitere Listen

 

E.4.4 Pflegeleistungen als Gruppierungskriterien?

 

E.5 Abbildung von Pflegekosten mittels pflegebezogener Gruppen

 

E.5.1 Prinzip

 

E.5.2 Hinweise auf potenzielle erklärende Variablen

 

E.5.3 Ein Beispiel für pflegebezogene Gruppen: Pflegekostengruppen in der Rehabilitation

 

E.6 Pflegeausreisser


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E

Möglichkeiten zur Abbildung der Pflege in DRG-Systemen

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E.1

Vorbemerkung

1 In der Kostenerhebung von 1997/98 in den öffentlichen Kranken­häusern Australiens betrug der Anteil der Pflege 27.5 %, in den privaten Kranken­häusern 31 %. – Vgl. Quellen zu den Tafeln 1 und 2.

 

Der Pflege kann im Akutkrankenhaus ein wesent­licher Teil der Betriebskosten zugeordnet werden. Je nach Berechnungsweise beträgt dieser Anteil gut 20 % bis über 30 %.1 Da dieser Kostenanteil hoch ist und einen der Hauptkostenblöcke bildet, ist es wichtig, dass die Pflege «kostengerecht» in DRG-Systemen abgebildet wird. (Vgl. dazu die Aus­wer­tungen von australischen Daten in den Tafeln 1 und 2.)

Tafel 1:
Kostenaufteilung öffentliche Krankenhäuser Australiens 1997/98

Tafel 1: Kostenaufteilung öffentliche Krankenhäuser Australiens 1997/98

 

Quelle: http:// www.health.gov.au / casemix / costing / graph_table / cn_v40.xls.

Tafel 2:
Kostenaufteilung private Krankenhäuser Australiens 1997/98

Tafel 2: Kostenaufteilung private Krankenhäuser Australiens 1997/98

 

Quelle: http:// www.health.gov.au / casemix / costing / graph_table / cn_v40pr.xls.

 

 

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E.2

Ansatzpunkte zur Abbildung der Pflege

Abbildungs­möglich­keiten

Die Pflege kann in DRG-Systemen grundsätzlich auf zwei Arten berücksichtigt werden:

  • auf der Ebene der Klassi­fi­kation;
  • auf der Ebene der Kosten­gewichtung und weiterer Kennzahlen.

Herkömmliche Berück­sichtigung

In herkömmlichen DRG-Systemen wird die Pflege meist nur in ungenügender Weise berücksichtigt: Einerseits fliesst die Pflege über nicht weiter differenzierte, tagesgleiche Pflegesätze in die Kosten­gewichte ein. Andererseits können auf der Klassifikationsebene spezielle Pflegeprobleme und damit verbundene Zusatzkosten nur im Rahmen von ärztlichen Neben­dia­gnosen berücksichtigt werden, welche eine Zuord­nung einer DRG mit einer höheren Ressourcenintensität auslösen («CC-Einstufung»).

Pflegekosten in DRG-Pauschalen

Die Einführung von DRG-Pauschalen fordert die Pflege somit heraus, Stellung zu nehmen. Das bedeutet, dass sie sich auch mit den ökonomischen Aspekten ihrer Arbeit befassen muss. Die Pflege sollte sich inbe­son­dere zu den folgenden Themen einbringen:

  • Die Pflege kann in der Kosten­kalkulation den Einbezug von Pflegetagen fordern, die nach dem Pflege­aufwand gewichtet sind.
  • Die Pflege kann einen Ausbau der DRG-Klassi­fi­kation anstreben, bei dem entweder die Schwere­grad­einteilungen («CC-Kategorie») nicht nur von ärztlichen Diagnosen, sondern auch von Pflege­diagnosen bestimmt werden, oder bei dem eigene pflegebezogene Gruppen gebildet werden.
  • Die Pflege kann Fälle mit überdurchschnittlichem Pflege­aufwand als Pflegeausreisser definieren.

 

Tafel 3 zeigt diese grundsätzlichen Optionen und die dazugehörigen Lösungsansätze. In den folgenden Abschnitten wird näher darauf eingegangen.

Tafel 3:
Potenzielle DRG-Modifikationen der Pflege

Tafel 3: Potenzielle DRG-Modifikationen der Pflege

 

Quelle: Nach Fischer [G-DRG/Pflege, 2001].

 

 

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E.3

Abbildung von Pflegekosten in DRG-Kostengewichten

 

Die Pflegekosten können in die Kosten­gewicht-Berechnungen einfliessen über:

  • Tagesgleiche Pflegesätze.
  • Leistungsbezogene Pflegesätze.
  • Pflegegewichte pro DRG.

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E.3.1
Tagesgleiche Pflegesätze

Tagesgleiche Pflegesätze

Die Gewich­tung der Pflege über tagesgleiche Pflegesätze ist die verbreitetste Methode zur Berück­sichtigung der Pflege in den DRG-Kosten­gewichten.

Berechnung

Tagesgleiche Pflegesätze werden berechnet, indem die Kosten der Abteilung oder des ganzen Kranken­hauses durch die An­zahl erbrachter Pflegetage dividiert werden. Solche Tagessätze sind identisch für alle DRGs. Der unter­schied­liche Pflege­aufwand pro Fall bleibt trotzdem nicht vollkommen unberücksichtigt. Proportional zur Aufenthaltsdauer wird den einzelnen Fällen ein höherer bzw. ein niedrigerer Pflege­aufwand zugeteilt. Damit wird der Betrag, der für den Pflege­aufwand bei DRGs mit längeren Aufenthaltsdauern eingesetzt wird, grösser als bei DRGs mit kürzeren Aufenthaltsdauern.

Tafel 4:
Tagesgleicher Pflegesatz zur Berechnung der Fallkosten

Pflegesatz pro Tag = Kosten der Abteilung / Σ der Pflegetage
Kosten des Falles = Pflegesatz   ×   Aufenthaltsdauer

Kommentar

Tagesgleiche Pflegesätze sollten nicht zur Kalkulation von DRG-Kosten­gewichten verwendet werden, da der tägliche Pflege­aufwand innerhalb der einzelnen DRGs oft stark streut.

2 Vgl. Abschnitt O.1 im Anhang. – In den Jahren 1998/99 bis 2000/01 war der Anteil der Pflegekosten in den öffentlichen Kranken­häusern Australiens leicht rückläufig: er betrug 26.5 %, 26.7 % und 25.3 %.

Australisches Beispiel

In Tafel 5 ist ein Beispiel von tagesgleichen Pflegesätzen aus Australien zu sehen. Es kann abgelesen werden, dass die Pflegekosten 27.5 % der Gesamt­kosten aller Behand­lungs­fälle der öffentlichen Kranken­häuser ausmachten. Die gleichen Tafeln werden auch für die einzelnen DRGs errechnet.2 Der Anteil der Pflegekosten variiert von einer DRG zur nächsten.

Tafel 5:
Kosten aller Behand­lungs­fälle nach Kostenstellen in öffentlichen Kranken­häusern Australiens

AR-DRGAlle DRGsÖffentliche Kranken­häuser
Jahr / DRG-Version1997–98v4.0
An­zahl Fälle3'565'444 
An­zahl Pflegetage12'508'348ø Auf­ent­halts­dauer = 3.51 Tage
Kosten­gewicht1.00
 
KostenstelleGesamt­kostenin %Direkte KostenIndirekte Kosten
ø-Kosten insgesamt2'412100.0 %1\'703709
 
Station: Ärzte32513.5 %26659
Station: Pflege66427.5 %502162
Pathologie1014.2 %7922
Bildgebende Verfahren672.8 %5512
Nicht-ärztliche Therapien582.4 %4315
Apotheke1054.4 %9015
IPS1707.0 %13238
Operationssaal31012.9 %23971
Notfall502.1 %3416
Material1345.6 %6371
Spezielle Prozeduren ohne Ops-Benutzung («SPS»)180.7 %144
Prothesen411.7 %41 
Zusatzkosten («on-costs»)1355.6 %135 
Hotel974.0 % 97
Abschreibungen783.2 % 78
Übrige612.5 % 61
SUMME2'414100.1 %1\'693721
Differenz–20.0 %10–12

 

Quelle: http:// www.health.gov.au / casemix / costing / graph_table / cn_v40.xls.

 

 

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E.3.2
Leistungsbezogene Pflegesätze

3 Systeme zur Pflege­leistungs­messung werden in Kapitel G und K vorgestellt und diskutiert.

4 Diese Methode wird z. B. von der Gruppe Verein APDRG-Schweiz benutzt. Bei den in http:// www.apdrgsuisse.ch / publizierten Kosten­gewichten wurden zur Gewich­tung der Pflege in den Westschweizer Spitälern PRN-Punkte verwendet.

Leistungsbezogene Pflegesätze

Leistungsbezogene Pflegesätze berechnen sich anhand Daten aus Pflege­leistungs­messungen, z. B. aufgrund von LEP-Minuten, PPR-Minuten oder PRN-Punkten.3 Beim Einsatz solcher Systemen wird es möglich, die Tage und die einzelnen Fälle ent­spre­chend dem unter­schied­lichen Pflege­aufwand in die Kosten­gewichtung einfliessen zu lassen.4

Berechnung:

  • Pflegesatz

Leistungsbezogene Pflegesätze werden berechnet, indem die Kosten der Station, der Abteilung oder des ganzen Kranken­hauses durch die An­zahl erbrachter Leistungseinheiten gemäss Pflegeleistungserfassung dividiert werden. Solche Leistungseinheiten sind z. B. LEP-Minuten oder PRN-Punkte. Sie werden im Folgenden «PLE-Einheiten» genannt.

  • Fallkosten

Die zu jedem Fall erhobenen PLE-Einheiten werden mit dem berechneten Pflegesatz multipliziert. Damit ergeben sich die Pflegekosten pro Fall, die nicht in Abhän­gig­keit der Aufenthaltsdauer, sondern in Abhän­gig­keit der erhobenen Pflege­leistungen variieren.

Tafel 6:
Leistungsbezogener Pflegesatz zur Berechnung der Fallkosten

Pflegesatz pro PLE-Einheit = Kosten der Abteilung / Σ der PLE-Einheiten
Kosten des Falles = Pflegesatz   ×   Σ der PLE-Einheiten des Falles

 

Da sowohl die Leistung pro Behand­lungs­fall ebenso wie die Leistung der Station insgesamt aufgrund der Schätzung des Pflege­aufwandes errechnet werden, müssen bei der Pflegesatzberechnung gemäss obiger Formeln Faktoren zur Hochrechnung der Pflegezeit auf die Personalzeit (wie z. B. der «C-Wert» bei der Verwendung von LEP-Minuten) nicht berücksichtigt werden.

Kommentar

Diese Methode ist die präferierte Methode zur Kalkulation des Pflegeanteiles in Kosten­gewichten, denn sie benutzt die vorhandenen Daten in der differenziertesten Weise.

 

 

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E.3.3
Pflegegewichte pro DRG
 

Aufgrund der Berechnung von Kosten­gewichten der Pflege oder aufgrund von Pflegesätzen kann versucht werden, jeder DRG ein Pflegegewicht oder eine Pflegeintensitätklasse zuzuordnen.

5 Fetter/Thompson [DRG+Nursing, 1987]. – Die Zusammen­fassung von Thompson und Diers dieser von HCFA finanzierten Studie der Yale University ist zu finden in Fetter et al. [DRGs, 1991]: 121–183.

Studie von Fetter und Thomson

Ein solcher Ansatz wurde z. B. von Fetter und Thompson beschrieben.5 Sie definierten sechs Pflege­kategorien. (Sie wurden als «cluster» bezeichnet.) Jeder DRG ist genau eine dieser sechs Pflege­kategorien zugeordnet. Die Pflege­kategorien wurden von Fachpersonen aufgrund von Risiko und Pflegeabhängigkeit den einzelnen DRGs zugeordnet worden. Die Gewich­tung erfolgte aufgrund der Bestimmung von Pflegezeiten mittels Pflege­klassifi­kations­systemen.

6 Fetter et al. [DRGs, 1991]: 138. – Eines der Kranken­häuser – «Krankenhaus» C – war eine Gruppe von fünf Gemeinde-Kranken­häusern, welche alle dasselbe Pflege­klassifi­kations­system benutzten.

7 Dazu wurden Regressions­rechnungen der Form «Pflegezeit = α + β × Aufenthaltsdauer» durchgeführt, um die Abhän­gig­keit der Pflegezeit von der Aufenthaltsdauer festzustellen: β entspricht nun der Pflegezeit, die durch­schnitt­lich pro zusätzlichen Pflegetag anfällt. Dieser Koeffizient β wurde als Pflegekostengewicht verwendet.

 

Dazu wurden den insgesamt 155'638 Fällen aus fünf Kranken­häusern6 Pflegezeiten zugeordnet, welche mit fünf (!) unter­schied­lichen Pflege­klassifi­kations­systemen ermittelt worden waren. In allen Kranken­häusern wurden für DRGs mit mehr als 20 Fällen relative Pflegegewichte berechnet.7

Die Korrelationen zwischen den Pflegekostengewichten der beteiligten Kranken­häuser waren zwar statistisch signifikant; sie wiesen aber nicht besonders gute Werte auf. (Sie lagen zwischen 0.34 und 0.62.)

Aus den Tafeln 7 und 8 ist ersichtlich, dass die Durchschnittswerte der Pflegezeiten pro Pflege­kategorie in den verschiedenen Kranken­häusern recht unter­schied­liche Abstände aufweisen. (Bezüglich dieser Werte wäre es gut, grosse Unterschiede zwischen den Mittel­werten der einzelnen Kategorien zu haben, denn dies würde auf deutlich unter­schied­liche Gruppen hinweisen.) Zum Teil sind die gemessenen Werte nicht einmal von einer Kategorie zur nächsten aufsteigend. (Siehe die Werte von Krankenhaus B und D).

Unbefriedigende Resultate

Aufgrund dieser schlechten Resultate muss vermutet werden, dass die gewählte Vorgehensweise sehr inpraktikabel war. Es zeigt sich einerseits, dass die von den verschiedenen Pflege­klassifi­kations­systemen gelieferten Minutenwerte nur schlecht vergleichbar sind. Dies äussert sich u. a. in den sehr unter­schied­lichen Mittel­werten der beteiligten Kranken­häuser. Andererseits erscheint es problematisch, die einzelnen DRGs aufgrund von Expertenüberlegungen je einer einzigen Pflege­kategorie zuzuordnen. Dies äussert sich u. a. in den z. T. recht geringen Abständen der Mittel­werte pro Kategorie. (Extremstes Beispiel dazu ist Krankenhaus D.) Auslösende Probleme könnten sowohl eine schlechte Standardisierbarkeit in Form von typischen Behand­lungs­verläufen pro DRG sein, wie auch die daraus anscheinend resultierende grosse Streuung des Aufwandes innerhalb der einzelnen DRGs.

Tafel 7:
Pflegezeiten in Minuten für Erwachsene nach Pflegekategorien in den fünf Studienkrankenhäusern (A-E)

Pflege­kategorie KH-A KH-B KH-C KH-D KH-E Norm-Zeit (Minuten)
1 163 214 259 264 296 210
2 244 263 290 272 311 240
3 249 323 320 289 326 270
4 262 299 351 281 335 290
5 262 367 361 301 342 330
6           450

 

Quelle: Fetter et al. [DRGs, 1991]: 146.

Tafel 8:
Yale-Studie 1987: Pflegegewichte für Erwachsene

Tafel 8: Yale-Studie 1987: Pflegegewichte für Erwachsene

 

Quelle: Fischer [DRG+Pflege, 2002].

 

 

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E.4

Abbildung von Pflegekosten mittels CC-Kategorien

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E.4.1
Transcodierung von Pflegediagnosen nach ICD-10

8 Mit Pflege­diagnosen sind hier nicht Pflege­diagnosen eines bestimmten Systems gemeint, sondern allgemein zusammenfassende, codierbare Aussagen der Pflege über den Patientenzustand.

ICD-10

Es gibt einzelne ICD-10-Codes, die Konzepte enthalten, die auch mit Pflege­diagnosen8 abgebildet werden können. Manche dieser ICD-10-Codes haben einen Einfluss auf die CC-Kategorie von DRGs.

 

Es ist deshalb wichtig, festzustellen, welche ICD-10-Codes für die (eigenständige) Pflege relevant sind und somit codiert werden müssen. Dies ist insbesondere dann wichtig, wenn diese Codes unwesentlich für die ärztliche Behand­lung sind und deshalb meist nicht codiert werden.

9 Peters [Pflegefaktor, 2003]: 74 f+67.

Studie zeigt Unterschiede zwischen Ärzten und Pflege bezüglich der Erfassung von pflegerelevanten ICD-10-Codes

In einer nicht repräsentativen Pilotstudie zu diesem Thema mit 58 Patienten auf einer 30 Betten-Station des Klinikums Nürnberg, zu denen während 4 Wochen auch von der Pflege ICD-10-Codes gesammelt wurden, stellte man u. a. fest, dass die Neben­dia­gnose «Stuhlinkontinenz» von Pflegenden 8-mal notiert wurde. In der Diagnosestatistik der Ärzte wurde diese Neben­dia­gnose innert 6 Wochen und bezogen auf 2000 Betten – also bei einer vielfach grösseren An­zahl von Patienten – nur 6-mal angegeben.9

 

Aus dieser Beobachtung kann nun allerdings nicht gefolgert werden, dass die Stuhlinkontinenz von den Ärzten nicht beachtet worden wäre. Sie zeigt nur, dass die Stuhlinkontinenz als Diagnose bei der Pflege einen anderen Stellenwert als bei den Ärzten hat. Letztere stellen Diagnosen mehr im Sinne von Gesamtzusammenfassungen von Behand­lungs­fällen. Stuhlinkontinenz ist ein Symptom (ein R-Code in ICD-10). Als solches begleitet es die von den Ärzten codierte zugrunde liegende Krankheit. In jenen Fällen, in denen die zugrunde liegende Krankheit üblicherweise von diesem Symptom begleitet wird, ist es deshalb aus ärztlicher Sicht unnötig, es se­pa­rat zu codieren.

Tafel 9:
Eine Auswahl pflege­relevanter ICD-10-Diagnosen mit potenzieller CC-Einstufung
in den Systemen AR-DRG 4.1, AP-DRG 12.0, AP-DRG 12.0-CH und HCFA-DRG 11.0

ICD-10 Bezeich­nung AR-DRG 4.1
CCL chir.
AR-DRG 4.1
CCL med.
AP-DRG 12.0-CH AP-DRG 12.0 HCFA-DRG 11.0 ICD-9
A09 Diarrhoe und Gastroenteritis 2 2 009.-
E64.0 Folgen der Energie- und Eiweissmangelernährung 3, 4 2, 3 (z.T. CC) (269.-)
F00 Demenz bei Alzheimer-Krankheit 2, 3, 4 2, 3 CC 290.1
F01 Vaskuläre Demenz 2, 3, 4 2, 3 CC
(nur F01.0 und F01.1)
CC 290.4
F05 Delir 2, 3, 4 2, 3 293.0, 293.1
F32.2, F32.3 Schwere depressive Episode 2 1, 2 z.T. CC CC, falls psy­cho­tisch 296.-
F50 Essstörungen 2, 3, 4 2, 3 CC
(nur F50.0 und F50.1)
CC
(nur 307.1)
CC
(nur 307.1)
307.1, 307.5
F51 Nichtorganische Schlafstörungen 307.4
H54 Blindheit und Sehschwäche 369.-
I83.0 Varizen der unteren Extremitäten mit Ulzeration («offene Beine») 3 2 454.0
I83.2 Varizen der unteren Extremitäten mit Ulzeration und Entzündung (entzündte «offene Beine») 3 2 CC CC 454.2
L89 Dekubitalgeschwür (Dekubitus) 2 1, 2 MCC MCC CC 707.0
N39.0 Harnwegsinfektion 2, 3, 4 2, 3 CC CC CC 599.0
N39.3 Stressinkontinenz CC 625.6
N39.4 Sonstige näher bezeichnete Harninkontinenz 2, 3 2, 3 CC CC 788.3
R15 Stuhlinkontinenz 2, 4 2, 3 787.6
R32 Nicht näher bezeichnete Harninkontinenz 2, 3 2, 3 CC CC 788.3
R47 Sprech- und Sprachstörungen 1, 2 2 784.5
R54 Senilität 2, 3, 4 2, 3 797
Z43.0 Versorgung eines Tracheostomas 2, 3 1, 2 V55.0
Z63.2 Probleme in Bezug auf: Ungenügende familiäre Unterstützung 2 2 (V60.4)
Z74.0 Eingeschränkte Mobilität
Z74.3 Notwendigkeit der ständigen Beaufsichtigung (V62.8)
Z75.5 Betreuung einer pflegebedürftigen Person während des Urlaubs der An­ge­hö­ri­gen V60.5
Z99.1 Abhän­gig­keit vom Respirator 4 3 MCC MCC CC V46.1
Z99.2 Abhän­gig­keit von Dialyse bei Niereninsuffizienz 2 2 CC V45.1
Z99.3 Abhän­gig­keit vom Rollstuhl (V46.8)
 

Quellen: Commonwealth of Australia [AR-DRG-4.1, 1998]: Vol. 3;
Averill et al. [AP-DRG-12, 1994]: App. E+F;
Archibald et al. [AP-DRG-12-CH1, 1998]: App. E+F.

 

Anmerkung zu Tafel 9: Eigentlich sollten die ICD-10-basierten Eintragungen in der Spalte «AP-DRG 12.0 CH» identisch sein mit den ICD-9-basierten Eintragungen in der Spalte «AP-DRG 12.0». Insbesondere bei der Demenz bei Alzheimer-Krankheit und bei einem Dekubitus, welcher nicht an den unteren Extremitäten lokalisiert ist, gibt es aber Diskrepanzen.

10 Vgl. u. a. Rehwinkel [DRG+Pflege, 2000]: 558 f.

Suche der Pflege nach CC-relevanten ICD-10-Codes

Neben­dia­gnosen, welche einen Einfluss auf die DRG-Zuteilung haben können, werden in den sogenannten «CC-Listen» eingetragen. [Tafel 9] Diese sind seit Beginn der DRG-Ent­wick­lung ein «heisses» Thema: Seit je wurde darum gekämpft, was darin festgehalten sollte und was nicht. In Deutschland war dies nach der Entscheidung zur Einführung von DRG-Pauschalen u. a. auch bei der Pflege bald ein wichtiges Thema.10 Ausgegangen wurde von der Frage: Welche ICD-10-Diagnosen sind CC-relevant? Im Speziellen: Welche pflegediagnosen­kompatiblen ICD-10-Diagnosen sind CC-relevant? Allenthalben wurden Listen aufgebaut, und es scheint manchmal fast, dass sich Pflegende wohl bald nicht nur mit Pflege­diagnosen, sondern auch noch mit Details der ICD-10-Codierung abgeben müssen...

11 Dabei müsste allerdings noch beachtet werden, dass bei der Ent­wick­lung von Pflegediagnosenlisten in manchen Projekten Diagnosen, welche als Pflege­diagnosen identifiziert werden konnten und zugleich in der ICD aufgeführt waren, von den Pflegediagnosenlisten gestrichen wurden. Dies geschah u. a. bei der Analyse von verwendeten Pflege­diagnosen im Rahmen des ICNP-Projektes. In Mortensen [Pflege­diagnosen, 1998]: 63 werden z. B. Infektionen erwähnt. An gleicher Stelle wird darauf hingewiesen, dass die gleichen Begriffe aus ärztlicher und pflegerischer Sicht mehrdeutig sein können. Zum Beispiel sei «Obstipation» (K59.0) aus pflegerischer Sicht ein Beseitigungsproblem, aus ärztlicher Sicht jedoch eine pathologische Darmkrankheit.

Transcodierung von Pflege­diagnosen nach ICD-10

Eigentlich wäre es einfacher, den Spiess umzudrehen und die Pflegediagnosenlisten durchzugehen. Sie sind im Verhältnis zur Liste der ICD-10-Codes relativ kurz. Man würde versuchen, die Pflege­diagnosen soweit möglich nach ICD-10 zu übersetzen. Man würde also eine sogenannte «Mapping-Liste» erstellen, in der Pflege­diagnosen ICD-10-Diagnosen zugeordnet sind.11 Damit sähe man auch gleich, welche Pflege­diagnosen nicht in ICD-10 abbildbar sind. Natürlich, es gibt ein Problem: Die ICD-10 ist oft viel verzweigter als eine Pflegediagnosenliste. Da die ICD-10-Codes bei der DRG-Gruppierung jedoch wieder gebündelt werden, könnte es genügen, jeweils einen Code pro Bündel auszuwählen. Manchmal könnte es auch genügen, mit dreistelligen ICD-10-Codes zu arbeiten.

12 Die Bestimmung von kosten­relevanten Klassi­fi­kations­kriterien ist natürlich nur dann möglich, wenn zusätzlich zur Er­he­bung von potenziell kosten­relevanten Klassi­fi­kations­kriterien auch noch die Fallkosten pro Patient berechnet werden.

 

Dieses Vorgehen würde auch mehr Sinn machen als die Suche nach aus­schliess­lich CC-relevanten ICD-10-Codes, da es ja in DRG-Systemen normal ist, dass die CC-Liste im Verlaufe der Jahre verändert wird. Dann ist es entscheidend, dass auch potenziell kosten­relevante Diagnosen erhoben werden. Denn nur so wird es möglich, am Ende eines Erhebungs­jahres zu zeigen, welche Diagnosen wirklich kosten­relevant waren.12

 

Für dieses Buch wurde nun beispielhaft ein Versuch zur Transcodierung der NANDA-Pflege­diagnosen in ICD-10-Codes unternommen. (Vgl. Kapitel M.)

 

Es zeigte sich, dass nur ein geringer Anteil, nämlich etwa ein Fünftel der NANDA-Pflege­diagnosen mit ICD-10 codiert werden kann.

 

Die Arbeit machte deutlich: Die Pflege beurteilt die Patienten aus einer anderen Sicht als die Ärzte. Ärztliche und pflegerische Diagnosenklassifikationen ergänzen sich und können nicht gegeneinander ausgetauscht werden. Und: Wenn die Pflege trotzdem ICD-10-Codes zur Beschreibung ihrer Probleme verwenden will, bleibt die grosse Frage offen, was mit denjenigen Pflege­diagnosen gemacht werden soll, welche nicht nach ICD-10 transcodiert werden können.

13 DKG/GKV/PKV [DKR-2002, 2001]: 6 Regel D002a; DKG/GKV/PKV/InEK [DKR, 2003]: 5 f Regel D002b.

Symptome in den deutschen Kodier­richt­linien

Nach den deutschen Kodier­richt­linien von 2001 und 2002 galt die Einschränkung, dass Symptome dann nicht codiert werden dürfen, wenn die zugrunde liegende Krankheit be­kannt ist und behandelt wird. In den Kodier­richt­linien von 2003 gilt diese Regel für Symptome, «die im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftet sind», weiterhin. Stellt jedoch ein Symptom «ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizi­nische Betreuung dar», so wird es neu als Neben­dia­gnose codiert.13

Tafel 10:
Mit pflegekompatiblen ICD-10-Diagnosen zur DRG

Tafel 10: Mit pflegekompatiblen ICD-10-Diagnosen zur DRG

 

Quelle: Fischer [DRG+Pflege, 2002].

 

 

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E.4.2
Erweiterung der CC-Listen

Codes anderer Systeme

Zur feineren Abbildung der Ressourcenintensität könnten die CC-Listen auch um Codes anderer Klassi­fi­kations­systeme erweitert werden.

Entlas­sungs­desti­nation

Dies wurde u. a. im ARDRG-System mit den Codes für Entlas­sungs­desti­nation und Ge­schlecht gemacht. Sie werden in der im ARDRG-System vorhandenen «CC-Matrix» wirksam.

ICF

Es ist aber auch denkbar, dass Codie­rungs­systeme wie ICF, Pflege­diagnosen oder evtl. auch gewisse ärztliche Prozeduren, welche Einfluss auf die Pflege haben (und nicht als Hauptprozeduren die DRG-Ein­grup­pie­rung bestimmen) in erweiterte CC-Listen aufgenommen werden. Voraussetzung dabei ist immer, dass nachgewiesen wurde, dass das Vorhandensein der ent­spre­chenden Patientenprobleme die Kosten verändert.

14 Vgl. Goldfield et al. [H-Codes, 1996]. Die Studie wurde unterstützt von der ameri­ka­nischen Gesundheitsbehörde HCFA. – In ICD-9 gab es bereits die «V-Codes» für Faktoren, die den Gesundheitszustand und die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten beeinflussen (ist in ICD-10 als Kapitel XXI integriert: Codes mit Z), und die «E-Codes» für die äusseren Ursachen bei Verletzungen und Vergiftungen (ist in ICD-10 als Kapitel XX integriert: Codes mit V bis Y).

15 Goldfield et al. [H-Codes, 1996]: 1; Übersetzung des Autors.

16 Zum Beispiel: «H04.1» Temperatur axillär unter 37.8 °C (rektal unter 38.9 °C); «H04.2» Temperatur axillär 37.8–38.9 °C; «H04.3» Temperatur axillär über 38.9 °C.

17 Codierung der Pflegezeit mittels «H98.5»: H98.51 = 1–15 Minuten; H98.52 = 16–30 Minuten; ... ; H98.55 = 1–2 Stunden; H98.56 = 2–3 Stunden; ... ; H98.58 = über 4 Stunden.

H-Codes

Die Firma 3M, Entwicklerin der ameri­ka­nischen DRG-Systeme, hat unter dem Namen «H-Codes» bereits 1996 selbst eine Klassi­fi­kation vorgeschlagen, welche die ärztlichen Diagnosen ergänzen sollte.14 In der Einleitung zu diesem Vorschlag heisst es: «Diagnosis Related Groups (DRGs) sind durch die Präzision und die Vollständigkeit der zugrunde liegenden Diagnose- und Prozedurencodierungssysteme beschränkt. Herkömmlicherweise sind Diagnosecodierungssysteme begrenzt auf Beschwerden, Symptome, Befunde und Krankheiten. Es gibt jedoch Patienten­merkmale wie Vitalzeichen, Resultate von Labortests sowie auch Fähigkeits­einschrän­kungen, welche die Leistungsfähigkeit von Patienten­klassifi­kations­systemen potenziell erhöhen könnten. Die H-Codes wurden entwickelt, um ein Mittel in der Hand zu haben, diese zusätzlichen Patienten­merkmale zu erfassen . . .  ohne existierende Rechnungsformulare und Abrechnungssysteme verändern zu müssen.»15

Beispiele von H-Codes sind «Temperatur» oder «Hämatokrit». Die vierte Codierungsstelle wird meist für die Ausprägung verwendet.16 Zu codieren ist der höchste während der Aufenthaltszeit gemessene Wert.

Es wurden auch administrative H-Codes vorgeschlagen, darunter ein Code «H98.5» für Pflegezeit. In dessen fünfter Stelle kann die aufgewendete Zeit codiert werden.17

Tafel 11:
Erweiterung der CC-Liste durch Nicht-ICD-Codes

Tafel 11: Erweiterung der CC-Liste durch Nicht-ICD-Codes

 

Quelle: Fischer [DRG+Pflege, 2002].

 

 

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E.4.3
Ergänzung der CC-Listen durch weitere Listen

Ergänzung durch separierte Listen

Die CC-Kategorien können nicht nur aufgrund von CC-Listen, sondern auch aufgrund von weiteren kosten­relevanten Kriterien zugeteilt werden.

Etabliertes Beispiel: Alter

Eine solche Erweiterung wird heute von den meisten DRG-Systemen angewandt, um das Alter zur Subgruppierung verwenden zu können. Die ARDRG 154 heisst z. B.: «Eingriffe am Magen, Ösophagus und Duodenum, Alter > 17, mit CC». Im ARDRG-System wird der klinische Schwere­grad (PCCL) aufgrund der ICD-10-Diagnosen berechnet. Zur Bestimmung der CC-Kategorie wird aber in einigen Basis-AR-DRGs nebst dem PCCL-Wert auch das Alter verwendet. Das Alter stellt hier also – nebst der CC-Stufe – ein eigenständiges Kriterium dar.

Integration von Aussagen der Pflege

In ähnlicher Weise könnten auch Aussagen der Pflege eingebracht werden. Der Unterschied zur oben besprochenen «Erweiterung der CC-Listen» besteht darin, dass dort alle Kriterien in eine CC-Kategorie «verpackt» werden, währenddem es hier mehre­re CC-Klassi­fi­kations­dimensionen gibt. Diese Dimen­sionen werden bei der DRG-Konstruktion alle als potenzielle Unterteilungskriterien für Basis­fall­gruppen evaluiert. Stellen sie sich als kosten­relevant heraus, erscheinen sie explizit in der DRG-Bezeich­nung. (Bei den DRGs waren dies bislang meist CC-Stufe und Alter.)

Tafel 12:
Ergänzung durch separierte Listen

Tafel 12: Ergänzung durch separierte Listen

 

Quelle: Fischer [DRG+Pflege, 2002].

 

 

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E.4.4
Pflegeleistungen als Gruppierungskriterien?

Pflege­leistungen in der deutschen Proze­duren­klassi­fi­kation?

In Deutschland sind im Zusammenhang mit der GDRG-Einführung Bestrebungen im Gange, die ärztliche Proze­duren­klassi­fi­kation OPS-301 durch Pflege­leistungen zu ergänzen. Gemäss Deutschem Pflegerat kämen z. B. in Frage:

  • Mobilisation.
  • Lagerung.
  • Therapeutische Pflege (z. B. Basale Stimulation, Kinästhetik).
  • Versorgung bestehender Stoma.
  • Beratung und Anleitung.
  • Begleitung Sterbender.

18 HCFA-DRG oder APDRG 468, 476 und 477; ARDRG 901Z, 902Z und 903Z.

Prozeduren zur Fallcharakterisierung

In den DRG-Systemen wurden bisher chirur­gische Prozeduren benutzt, um DRGs besser zu spezifizieren, als dies nur aufgrund der Diagnosen möglich wäre. Die zur Gruppierung verwendeten ärztlichen Prozeduren sind solche, die in Kurzform angeben, welche Behand­lung im Wesentlichen ausgeführt wurde. Sie müssen zur Haupt­diagnose passen; andernfalls wird u. U. eine Fehler-DRG «Eingriff ohne Bezug zur Haupt­diagnose» ausgelöst.18 Wenn die Pflege auch Prozeduren einbringen will, dann müssten diese den gleichen Anspruch erfüllen. Das könnte z. B. evtl. für die «Begleitung Sterbender» gelten.

19 Bislang wird der Schwere­grad (die CC-Kategorie) nur in seltenen Ausnahmen aufgrund von Prozeduren bestimmt. In den etablierten DRG-Systemen bestimmen aufwändigere Prozeduren gewöhnlich eine andere Basis-DRG; die CC-Kategorie wird über die Neben­dia­gnosen und die Alters­stufen bestimmt.

Proze­duren­hier­archien versus Abbildung von Mehrfach­behand­lungen

Bestehende DRG-Systeme wählen aus den codierten Prozeduren jene aus, die in einer systemeigenen Prozeduren­hierarchie am höchsten steht, d. h. gewöhnlich jene, welche am aufwändigsten ist. Diese Prozedur wird dann zur DRG-Bestimmung verwendet. Nun wird man aber – zumindest bei chirur­gischen Behand­lungen – nicht allzu oft Meinung sein, Prozeduren der Pflege wie die oben aufgeführten seien die für die Behand­lung massgeblichen Prozeduren gewesen. Will man, dass solche oder weitere Prozeduren der Pflege aber trotzdem bei der DRG-Zuteilung berücksichtigt werden, so müsste man sie entweder in Ergänzung zu den CC-Listen zur Bestimmung des Schwere­grades einschleusen,19 oder aber man müsste das DRG-System so anpassen, dass Mehrfach­behand­lungen abbildbar werden. Konkret würde Letzteres heissen, dass einem Behand­lungs­fall mehre­re DRGs (bzw. pflegebezogene Gruppen, s.u.) zugeordnet würden. (Voraussetzung beider Varianten ist der Nachweis, dass die gruppierungsrelevanten Pflege­leistungen auch kosten­relevant sind.)

Probleme oder Leistungen als Gruppie­rungs­krite­rien?

Bei all diesen Überlegungen kommt einem das Dilemma störend in die Quere, ob man denn in DRG-Systemen grundsätzlich eigentlich Probleme oder Leistungen als Gruppie­rungs­krite­rien verwenden soll. DRG-Systeme benutzen vom Namen her Probleme (Diagnosen). Sobald jedoch chirur­gische Prozeduren codiert sind, werden diese zur DRG-Bestimmung verwendet. In der Idealvorstellung kann der Leistungsbedarf von Problemen (und Zielen) abgeleitet werden. In der Praxis ist der Leistungsbedarf mittels diagnosenbasierter DRGs in der Medizin schlecht, mittels prozedurenbasierter DRGs in der Chirurgie höchstens passabel schätzbar. Soll nun die Pflege mit Pflege­leistungen nachziehen? Sinnvoller wäre es, wenn es gelänge, die die Leistungen auslösenden Pflegeprobleme einzubringen und auf die Pflege-CC-Listen zu setzen. In jedem Falle dürfen die Pflege­leistungen nicht losgelöst von Diagnosen stehen, sondern sie müssen sich immer auf eine pflegerische oder ärztliche Diagnose beziehen können. (Sie müssten konsequenterweise auch mittels einer zusätzlichen Fehler-DRG mit der Bezeich­nung «Pflege­leistung ohne Bezug zu einer Diagnose» plausibilisiert werden.)

 

 

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E.5

Abbildung von Pflegekosten mittels pflegebezogener Gruppen

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E.5.1
Prinzip

Von ärztlichen Diagnosen un­abhän­gige Probleme

Wenn die Pflege zeigen kann, das gewisse Patientenprobleme, welche die Pflege formuliert, relativ un­abhän­gig von den ärztlichen Diagnosen sind, dann muss überlegt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, se­pa­rate pflegebezogene Gruppen zu definieren, statt Pflege-CC-Listen in CC-Kategorien einzuschleusen.

20 Modelle, die eine Zuord­nung von mehre­ren Behand­lungs­fall­gruppen pro Fall vorsehen, sind in der EfP-Erweiterung des französischen GHM-Systems, bei Disease Staging und im PMC-System entwickelt worden. – Vgl. Blum [EfP, 2000]; Gonella et al. [Disease Staging, 1984]; Gonella et al. [DS-ClinCrit, 1994]; Neubauer et al. [PMC-Ergebnisse, 1992].

21 Damit hätte man die Idee des Abteilungs-bezogenen Zürcher «Prozess­leistungs­tarifs» (PLT), welcher Abtei­lungs­fall­pauschalen und Abtei­lungs­tages­pauschalen (= Abtei­lungs­pflege­sätze) vorsieht, DRG-bezogen umgesetzt.

Klassifikationsmodelle

Es sind mehre­re Arten von Klassifikationsmodellen denkbar: Entweder könnte immer nur höchstens eine Pflegekosten-Gruppe (und eine DRG) pro Fall zugelassen werden. Alternativ wären auch Modelle konstruierbar, welche mehre­re Pflege­kosten­gruppen und mehre­re DRGs pro Fall erlauben.20 Als Zwischenweg sind Modelle mit einer DRG pro Fall und mehre­ren Pflege­kosten­gruppen pro Tag denkbar.21

22 Ein Modell mit Faktoren wurde im EfP-GHM-Modell aufgebaut. Vgl. Patris [EfP/coûts, 2000].

Varianten der Kostengewichtung

Die Kosten­gewichtung würde in all diesen Modellen mit Pflege­kosten­gruppen additiv über Zu- und Abschläge oder multiplikativ mit Faktoren22 erfolgen.

Interdisziplinärer Ansatz?

Wenn ein solcher Ansatz einer mehrdimensionalen Patienten­kate­gorisie­rung ins Auge gefasst wird, sollte auch nach interdisziplinären Lösungsmöglichkeiten Ausschau gehalten werden. Diese könnten z. B. in die Richtung gehen, dass man nach se­pa­raten Klassi­fi­kationen für das akute Problem einerseits und für die Behinderungen bzw. Fähigkeits­einschrän­kungen andererseits sucht und nicht primär von den unter­schied­lichen Sichtweisen der Berufsgruppen ausgeht.

Tafel 13:
Pflegebezogene Gruppen als DRG-Ergänzung

Tafel 13: Pflegebezogene Gruppen als DRG-Ergänzung

 

Quelle: Fischer [DRG+Pflege, 2002].

 

 

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E.5.2
Hinweise auf potenzielle erklärende Variablen

23 Das PRN-System wird in Kapitel K.3 vorgestellt.

24 Details zu den belgischen Studien aufgrund der Lausanner Daten sind in Kapitel I.3.3 zu finden.

Belgische Analyse von PRN-Daten aus Lausanne (2001)

In einer belgischen Studie wurde die Erklärungskraft verschiedener Variablen bezogen auf den Pflege­aufwand ermittelt. [Tafel 14] Dazu standen PRN- und APDRG-Daten von 25'332 Fällen des Universitätsspitals Lausanne (CHUV) zur Verfügung.23 Die grösste Erklärungskraft für die Streuung des Pflege­aufwandes gemessen in PRN-Punkten haben die Aufenthaltsdauern mit einer Varianz­reduktion von 74 %. Dieser Wert ist höher als die Erklärungskraft der durch­schnitt­lichen Aufenthaltsdauern pro AP-DRG, welche 47 % beträgt. (Dieser Wert wiederum ist gleich hoch wie die Varianz­reduktion der APDRGs bezüglich der PRN-Punkte.24) Auch einzelne Aspekte der DRG-Zuteilung haben eine gewisse, aber sehr geringe Erklärungskraft, so die Zuteilung zu einer bestimmten Haupt­kate­gorie (17 %) oder das Vorhandensein von Begleit­erkran­kungen oder Komplikationen (8 %). Interessant ist, dass weder Alters­stufe noch Ge­schlecht und auch nicht Notfall­aufnahme oder Wiederaufnahme zur Erklärung des Pflege­aufwandes beigezogen werden können. Von jenen Kriterien, welche bei einer APDRG-Zuteilung nicht bzw. nur teil­weise berücksichtigt werden, erscheinen ein Aufenthalt auf der Intensivstation (17 %) und die Tatsache, ob mehre­re Organsysteme betroffen sind (17 %) am beachtenswertesten.

 

Wenn alle Kriterien mit Ausnahme der Aufenthaltsdauer gleichzeitig angewendet werden, kann der Pflege­aufwand nach PRN zu 55 % erklärt werden. Was fehlt nun noch? Das Nächstliegenste wäre, die Aufenthaltsdauer mitzuverwenden. Nun ist aber die Aufenthaltsdauer eigentlich eine Resultate­variable der medizi­nischen Behand­lung und nicht eine Variable, welche den Ausgangszustand und damit den Leistungsbedarf bestimmt. Deshalb ist die Verwendung der Aufenthaltsdauer der Einzelfälle nur solange korrekt, als man nicht spezifischere Input-Variablen gefunden hat, anhand der sich Aufenthaltsdauer (und Pflege­aufwand des Falles) schätzen lassen.

 

In der belgischen Studie zu den Lausanner PRN-Daten fehlen weitere Variablen, u. a. solche, die den Patientenzustand aus pflegerischer Sicht beschreiben. Somit weiss man nun nur, dass die DRG-Einteilung und der IPS-Aufenthalt wichtige kosten­relevante Kriterien sind, aber welche Kriterien zusätzliche Erklärungskraft haben, ist nicht ersichtlich.

Tafel 14:
Varianz­reduktion R2 des Pflege­aufwandes, gemessen in PRN-Punkten, bezüglich verschiedener Variablen

Erklärende Variable Varianz­reduktion R2 Bei DRG-Gruppierung
berücksichtigt
Effektive Aufenthaltsdauern pro DRG 74 %
Standardisierte Aufenthaltsdauern pro DRG 47 % Ja
(entspricht
der Varianz­reduktion
der DRGs bezüglich
der PRN-Punkte)
An­zahl betroffener Organsysteme 17 % (Teilweise: über CC)
Mit/ohne IPS-Aufenthalt 17 % (Tracheo­stomien)
APDRG-Haupt­kate­gorie («MDC») 13 % Ja
Zuteilung einer AP-DRG mit/ohne CC oder MCC. 8 % Ja
Unter­schei­dung chirur­gischer/medizi­nischer Fall 3 % Ja
Während Aufenthalt verstorben / nicht verstorben 1 % (Vereinzelt)
Mit/ohne Notfall­aufnahme << 1 %
Mit/ohne Wiederaufnahme innert 12 Monaten << 1 %
Unter­teilung nach Alters­stufen (bis 2, 2–18, 18–75, über 75 Jahre) << 1 % (teil­weise)
Unter­schei­dung nach Ge­schlecht << 1 %
Alle Variablen zusammen 84 %  
Alle Variablen mit Ausnahme der Aufenthaltsdauer 55 %  

 

Quelle: Werte aus Chevalier/Closon [IGB/CHUV, 2001]: 70.

25 O'Brien-Pallas et al. [Variability, 1997].

26 Vgl. Gordon [Pflege­diagnosen, 1994].

Regressionsmodelle von O'Brien-Pallas et al. (1997)

O'Brien-Pallas et al. haben ein Modell zur Erklärung des Pflege­aufwandes aufgebaut und in einer Studie in einem universitären Kinderspital anhand von Regressionsmodellen quantifiziert.25 Der Pflege­aufwand wird darin abgeleitet von folgenden Variablen [Tafel 15]:

  • Alter der Kinder.
  • Medizi­nischer Schwere­grad. (Dieser wurde anhand der kanadischen DRGs namens «CMGs» und aufgrund der Aufenthaltsdauer, welche einen kostengünstigen, leicht zu erhebenden Indikator einer Schwere­grad­verfeinerung darstellt, gemessen.)
  • Pflegekomplexität. (Sie wurde anhand der An­zahl erhobener NANDA-Diagnosen je funktionelles Verhaltensmuster nach Gorden gemessen.26)
  • Komplexität der Stationsumgebung.

27 Für die Fälle mit Asthma oder Bronchitis (CMG 147; bei 276 erhobenen Pflegetagen) betrug bei der schrittweisen Regression die zusätzliche Erklärungskraft der An­zahl Pflege­diagnosen je funktionellem Verhaltensmuster bezüglich des täglichen Pflege­aufwandes 34 %; für die Fälle mit Kraniotomie (CMG 902; bei 175 erhobenen Pflegetagen) betrug sie 42 % . – O'Brien-Pallas et al. [Variability, 1997]: 179 f.

 

Sie erreichten damit Varianzreduktionen von insgesamt 54 % bezüglich des Pflege­aufwandes des Falles und von insgesamt 45 % und 51 % bezüglich des täglichen Pflege­aufwandes für CMG 147 (Asthma und Bronchitis) und CMG 902 (Kraniotomie).

Die An­zahl Pflege­diagnosen je funktionellem Verhaltensmuster trugen in der schrittweisen Regression nach Alter, CMG und Aufenthaltsdauer zu einer zusätzlichen Erklärungskraft von 21 % für alle 1'435 Fälle bei.27 In den publizierten Beispielen waren es vier bis sechs funktionelle Verhaltensmuster, die massgeblich für die zusätzliche Erklärungskraft verantwortlich waren. Die grösste Erklärungskraft hatte in allen Beispielen das Verhaltensmuster «Aktivität und Bewegung», gefolgt von «Ernährung und Stoffwechsel».

Tafel 15:
Variablen, die nach O'Brien-Pallas et al. den Pflege­aufwand bestimmen, und deren Erklärungskraft bezüglich der direkten PRN-Pflegezeit des Falles

  Variablen Messung Erklärungs­kraft
Unabhängig Alter   9 %
Medizi­nische Komplexität CMGs (kanadische DRGs) 19 %
Medizi­nischer Schwere­grad Aufenthaltsdauer (als eine Art CMG-Ver­feine­rung) bei der Fallanalyse
bzw.:
Hospitalisationstag bei der Analyse des täglichen Pflege­aufwandes
5 %
Pflegekomplexität An­zahl NANDA-Pflege­diagnosen pro funktionellem Verhaltensmuster 21 %
Komplexität der Stationsumgebung Skalen für Stations­umgebungs­faktoren 3 %
Abhängig Pflege­intensität des Falles oder pro Tag innerhalb ausgewählter CMG-Gruppen PRN-80-Schätzung der direkten Pflegezeit

 

Quelle: O'Brien-Pallas et al. [Variability, 1997]: 173.

 

 

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E.5.3
Ein Beispiel für pflegebezogene Gruppen: Pflegekostengruppen in der Rehabilitation

28 Fischer et al. [TAR/K, 1998]; Fischer et al. [TAR/H, 1998]; vgl. auch Bartelt/Lenz [Reha-PCS/Eval, 1999].

TAR-Pflege­kosten­klassifi­kation

In der medizi­nischen Neurorehabilitation wurde untersucht, ob die Pflege- und Therapiekosten von Patientenmerkmalen abgeleitet werden können. Während dies für die Pflege gelang, zeigten sich bei den Therapien kaum Abhän­gig­keiten von den gut 100 wöchentlich erhobenen Patientenmerkmalen.28

 

Im Jahr 1997 wurden in vier neurologischen Kliniken während 3 Monaten Daten von 274 Patienten erfasst. Für die Aus­wer­tungen waren Pflegezeiten von insgesamt 1716 Pflegewochen verfügbar.

 

Das Leistungsbündel «tägliche Pflege in der neurologischen Rehabilitation» konnte anhand der Angaben zu den praktisch-motorischen und zu den kognitiven Beeinträchtigungen mit einem Erklärungsgrad von ca. 65 % beschreiben werden.

 

Es wurden insgesamt sechs Pflegekostenkategorien gebildet (P1) bis P6). Als Basisinformation wurde die Beurteilung des Patientenzustandes nach den 18 FIM-Items benutzt. Jedes dieser Items wird anhand einer 7-stufigen Messskala beurteilt. [Tafeln 16 bis 18]

Tafel 16:
TAR-FIM-Klassen

  Kognitive Beeinträchtigung
Sehr schwer Mittel bis schwer Minimal bis leicht
Praktisch-
motorische Beeinträch-
tigung
Sehr schwer
Zwölf klinisch/pflegerisch

bedeutsame Kom­bina­tionen

Schwer
Mittel
Minimal bis leicht

 

Quelle: Fischer [Pflege­diagnosen, 1999/2001]: 23.

Tafel 17:
TAR-Pflegekosten­kategorien

  Kognitive Beeinträchtigung
Sehr schwer Mittel bis schwer Minimal bis leicht
Kogn. FIM
5-10
Kogn. FIM
11-29
Kogn. FIM
30-35
Praktisch-
motorische Beeinträch-
tigung
Sehr schwer Mot. FIM
13-26
P6 P5 P4
Schwer Mot. FIM
27-55
P5 P4 P3
Mittel Mot. FIM
56-80
P2
Minimal bis leicht Mot. FIM
81-91
P4 P1

 

Quelle: Fischer et al. [TAR/K, 1998]: 61.

Tafel 18:
Statistische Kennzahlen der TAR-Pflegekostenkategorien

  P1 P2 P3 P4 P5 P6 Gesamt-
ergebnis
Pflege­stunden pro Tag Median 0.9 2.5 3.5 4.9 6.3 8.6 2.4
Durch­schnitt 1.1 2.7 3.8 5.4 6.6 9.0 3.5
Variations­koeffizient 0.69 0.54 0.43 0.42 0.44 0.32 0.93
An­zahl Pflegewochen 714 269 170 256 157 150 1716
  In % 42 % 16 % 10 % 15 % 9 % 9 % 100 %
 

Quelle: Fischer et al. [TAR/K, 1998]: 61.

29 Granger et al. [FIM, 1995]; IVAR [FIM-Manual/d, 1997].

 

Mit dem Funktionalen Selbständigkeitsindex FIM29 werden Fähigkeits­einschrän­kungen gemessen. FIM-Messungen beinhalten somit eine eingeschränkte Auswahl von Aussagen, die mit Pflege­diagnosen vergleichbar sind.

 

Alle Gruppen sind ausreichend dotiert (inkl. der Gruppen mit dem höchsten Pflege­aufwand). Sie weisen von P1 bis P6 stetig ansteigende und deutlich unter­schied­liche Mittel­werte auf. Die Varia­tions­koeffi­zien­ten sind unter 0.5 (mit Ausnahme von P1, was dort aber dank dem niedrigen Mittel­wert verkraftbar ist), nicht aber unter 0.25.

30 Beim Versuch, die gleichen Daten nach ärztlichen Diagnosen zu gruppieren, wurde ein Erklärungsgrad für die Pflegekosten (bzw. für deren Indikator Pflegezeiten pro Tag) von 9 % erreicht. Als nur die 81 % Fälle mit einer der drei häufigsten Diagnosen CVI (Cerebrovaskulärer Insult), SHT (Schädelhirntrauma) und Rückenmarkserkrankungen berücksichtigt wurden, erreichte der Erklärungsgrad dieser drei Diagnose­gruppen für die Pflegekosten nur 3 %. – Beide Resultate sind so klein, dass sie als irrelevant zur Seite gelegt werden müssen.

Ärztliche und pflegerische Informationen

In diesem Beispiel ist beachtenswert, dass in der definierten Umgebung «neurologische Rehabilitation» keine zusätzlichen ärztlichen Informationen nötig waren, um die Pflege­leistungen mit einem vergleichsweise guten Resultat allein aufgrund der Patientenzustandsbeschreibungen schätzen zu können; ja, es war sogar so, dass die ärztlichen Diagnosen in diesem Fall nichts zur Erklärung der Tageskosten beitrugen.30

FIM in der Akutpflege?

Dieses Beispiel zeigt auch, dass es zumindest Bereiche der Medizin gibt, in denen der Pflege­aufwand ganz ordentlich über den Patientenzustand, wie ihn die Pflege beschreibt, abgebildet werden kann. Es muss vermutet werden, dass in der Akutpflege von behinderten Patienten die ent­spre­chenden Fähigkeits­einschrän­kungen ebenfalls pflegerelevant sind. In welchem Ausmass dies der Fall ist, muss über ent­spre­chende Studien noch bestimmt werden. Falls die Kostenrelevanz von solchen oder ähnlichen Kriterien belegt werden kann, könnte ein Modell mit einer DRG pro Fall und einer oder mehre­ren pflegebezogenen Gruppen pro Tag verwendet werden.

 

 

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E.6

Pflegeausreisser

DRG: Grenzwerte für Aufenthaltsdauern und Kosten

Üblicherweise werden in DRG-Systemen Fälle, deren Kennzahlen gewisse Grenzwerte überschreiten, als Ausreisser betrachtet und se­pa­rat oder zusätzlich gewichtet und vergütet. (Vgl. Abschnitt B.3.3.) Anfänglich wurden die Grenzwerte wurden dabei bezüglich der Aufenthaltsdauern, später auch bezüglich der Kosten definiert. Als Faustregel hat sich in DRG-Systemen ein angestrebter Ausreisseranteil von ca. 5 % etabliert.

5 % Ausreisser sondern 20 % bis 25 % der Pflegetage bzw. der Kosten aus.

Erfahrungsgemäss werden mit einem Ausschluss von 5 % der Behand­lungs­fälle auch ca. 20 % bis 25 % der Pflegetage bzw. der Kosten ausgesondert.

5 % Ausreisser
sondern ebensoviel Pflege­aufwand aus.

Aus der Z I M-Studie von Daten zum Pflege­aufwand am «Universitätsspital Zürich» (USZ) ging hervor, dass sich auch der Pflege­aufwand – hier gemessen in LEP-Stunden – ebenfalls in diesem Bereich bewegt.

 

Es zeigte sich auch, dass die Streuungen der Aufenthaltsdauern und des Pflege­aufwandes nicht Hand in Hand laufen. Aus Tafel 19 geht z. B. hervor, dass nur knapp die Hälfte der 40 % der Fälle mit sehr hohen Streuungen bezüglich des Pflege­aufwandes [CV (LepStd) > 1.0] auch bezüglich der Aufenthaltsdauer sehr grosse Streuungen aufweisen [CV (LOS) > 1.0].

Tafel 19:
Prozentuale Anteile der Fälle in APDRGs mit Varia­tions­koeffi­zien­ten unter/über 1.0
bezüglich der Aufenthaltsdauern (Zeilen) und der LEP-Stunden (Spalten)
[USZ 2000 bei LOS>=2 und mindestens 30 Fällen pro AP-DRG]

  CV (LepStd) <= 1.0 CV (LepStd) > 1.0 SUMME in % An­zahl Fälle
CV (LOS) <= 1.0 56 17 73 21'773
CV (LOS) > 1.0 4 23 27 8'120
SUMME in % 60 40 100 29'893
An­zahl Fälle 17'924 11'969 29'893
 

 

Grenzwerte für den Pflege­aufwand

Somit erscheint es – zumindest solange keine Kostendaten vorliegen – angebracht, nebst Grenzwerten für die Aufenthaltsdauern auch solche für den Pflege­aufwand zu definieren. Behand­lungs­fälle mit übermässigem Pflege­aufwand könnten so mit einem zusätzlichen Gewicht versehen und evtl. auch mit einer zusätzlichen Vergütung entschädigt werden.

 

 

 

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( Letztmals generiert: 17.12.2013 )