Fischer: Der NordDRG-Grouper.

Z I M - Artikel (Schweizer Spital 2/1999: S. 25) Dez. 1998
Letzte Ergänzung: Dez. 1999


Der NordDRG-Grouper
Ein flexibles DRG-Gruppierungsprogramm

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


(Eine gekürzte Fassung dieses Textes ist im «Schweizer Spital» 2/1999: S. 25 erschienen.)
      
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Anwendungen der Diagnosis Related Groups (DRG)

In vielen europäischen Ländern wird die Einführung des Patientenklassifikationssystems "Diagnosis Related Groups" (DRG) seit langem diskutiert. In den USA werden DRGs seit 1983 von der staatlichen Seniorenversicherung Medicare als Nomenklatur bei der Vergütung von Fallpauschalen verwendet.

Die Vergütung von Fallpauschalen ist aber nicht der einzige Anwendungsbereich von Patientenklassifikationssystemen wie DRGs. Da es sich bei Patientenklassifikationssystemen um eine Beschreibung eines gewichtigen Teils der Produkte des Krankenhauses handelt, können sie u.a. auch für Leistungsstatistik, Leistungsaufträge, Betriebsvergleiche oder Budgetzuteilungen verwendet werden. So werden denn in mehreren Ländern diese Systeme noch gar nicht zur Tarifierung verwendet, sondern als eines der Instrumente zur Analyse des Krankenhaussektors.

Nun hat die praktische Anwendung von Systemen die unangenehme Folge, dass die Weiterentwicklung verlangsamt oder gar verhindert wird. Z.B. liegt schon seit 1994 ein offizieller Vorschlag zur Verfeinerung der von der Medicare-Versicherung verwendeten HCFA-DRGs vor: Die Severity Refined DRGs (SR-DRGs) mit 652 Behandlungsfallgruppen. Die Kostengewichtung erfolgte zwar kostenneutral. Weil aber für einzelne Spitäler zu grosse Veränderungen der Abgeltungen erwartet wurden, konnte das HCFA-DRG-System mit seinen ca. 500 Gruppen bis heute noch nicht abgelöst werden. Immerhin ist eine jährliche Anpassung an die neusten Entwicklungen der zugrundliegenden Codierungssysteme für Diagnosen (ICD-9-CM, Band 1) und für Operationen (ICD-9-CM, Band 3) möglich. Auch wurden zum Teil Erkenntnisse aus der Entwicklung konkurrenzierender DRG-Systeme, insbesondere des AP-DRG-Systems, ins HCFA-DRG-System aufgenommen.

Landesspezifische DRG-Gruppierung

Währenddem in den USA nach wie vor die ICD-9-CM-Klassifikationen für Diagnosen und Operationen im Einsatz sind, wurde die Diagnosecodierung in mehreren europäischen Ländern bereits auf ICD-10 umgestellt. Zur Codierung von Operationen werden in Europa verschiedene Systeme benutzt. In den USA wird momentan eine "Clinical Modification" der Diagnoseklassifikation ICD-10, also eine ICD-10-CM, vorbereitet. Für die Prozeduren wurde ein völlig neuartiges, mehrachsiges System mit dem Namen "ICD-10-PCS" entwickelt, das momentan getestet wird. (Referenz: Codierungssysteme im Internet.)

Auch in Skandinavien wurden neue Klassifikationssysteme eingeführt: Die Länder Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden setzen für Diagnosen die ICD-10 und für Prozeduren die neuentwickelte "Nordic Classification of Surgical Procedures" (NCSP) ein. Der Einführungszeitpunkt variierte, doch 1999 werden alle Länder mit den neuen Klassifikationen arbeiten. Mit diesen Ausgangsdaten konnten die amerikanischen Gruppierungsprogramme, die aus Diagnose- und Prozedurencodes DRGs errechnen, nicht mehr direkt angewandt werden. Man behalf sich u.a. mit Übersetzungstabellen für Diagnose- und Operationscodes, was aber auf die Länge unbefriedigend war. 1995 wurde das gemeinsame Nordic Medico-Statistical Commitee (NOMESKO) beauftragt, ein eigenes Gruppierungsprogramm zu entwickeln: den NordDRG-Grouper. In der ersten Etappe wurden die HCFA-DRG der Version 12.0 emuliert. Damit war der Weg geebnet für die Wartung und Weiterentwicklung einer DRG-Version, welche den nationalen Bedürfnissen in differenzierter Weise Rechnung tragen konnte.

Transparente DRG Zuweisung

Die NordDRG-Entwicklung begann mit einer umfassenden Analyse der frei verfügbaren HCFA-DRGs. Der originale DRG-Zuweisungsprozess ist als Entscheidungsbaum gestaltet: An jeder Verzweigungsstelle wird die jeweils nötige Information identifiziert und der weitere Entscheidungsweg wird bestimmt, bis schliesslich eine DRG gefunden wird. Dies spiegelt sich in den Flussdiagrammen wieder, die im "DRG Definition Manual" abgebildet sind.

Dieser DRG-Zuweisungsprozess wurde für die skandinavische DRG-Emulation verallgemeinert. Programme und Daten wurden vollständig getrennt. Von der Firma Datawell Oy aus Finnland wurde eine Software mit dem Namen YAGG (Yet Another Generic Grouper) entwickelt. Der Name wurde in Anspielung auf den aus dem Unix-System bekannten yacc (yet another compiler compiler) gebildet. Damit soll auf die Flexibilität des Systems hingewiesen werden. Mit dem YAGG ist es nämlich auch möglich, relativ beliebige andere Patientenklassifikationssysteme abzubilden. Die Zuweisung mittels YAGG basiert auf einem einheitlichen Zuweisungsalgorithmus. Zur Gruppierung werden zunächst die üblichen Basisdaten verwendet, d.h. also:
-  Diagnosen
-  Prozeduren
-  Alter
-  Geschlecht
-  Austrittsstatus

Hinzu kommen nun systematisch generierte, intermediäre Variablen wie:
-  Hauptkategorie (MDC)
-  Diagnosekategorie (DGCAT)
-  Diagnoseeigenschaften (DGPROP1 bis DGPROP4)
-  Prozedureneigenschaften (PROCPROP)
-  Vorliegen einer Prozedur mit Operationssaalbenutzung (OP)
-  Vorhandensein einer Komplikation (COMPL)
-  . . .

Die DRG-Zuteilung erfolgt über eine Entscheidungstabelle. Darin sind die insgesamt 14 Variablen als Spaltenüberschriften eingetragen.

Die Zuweisung erfolgt somit anhand eines einheitlichen Schemas. Damit gewann man an Transparenz. Interessant ist, dass nun eine manuelle DRG-Zuordnung auf diese Weise prinzipiell möglich wird. Allerdings wird im NordDRG-Handbuch erwähnt, dass dies infolge der Komplexität der originalen DRG-Zuweisungslogik eine etwas mühselige Fleissarbeit ist.

Insgesamt basiert das NordDRG-System auf 5 Tabellen, die der Gruppierung dienen, und 5 weiteren Tabellen mit Listen von Bezeichnungen (in den nationalen Sprachen und in Englisch):  
 

-  Tabelle 1: Zuweisung von DRGs aufgrund der 14 Entscheidungsvariablen
-  Tabelle 2: Zuweisung von Eigenschaften zu den Diagnosen
-  Tabelle 3: Zuweisung von Eigenschaften zu den Prozeduren
-  Tabelle 4: Definitionen und Bezeichnungen der Komplikationen
-  Tabelle 5: Ausschlussliste der Komplikationen

Abb. 1: Steuertabellen des NordDRG-Groupers

 
 

-  Tabelle 6: Bezeichnungen der DRGs und MDCs
-  Tabelle 7: Bezeichnungen der Diagnosekategorien
-  Tabelle 8: Bezeichnungen der Diagnoseeigenschaften
-  Tabelle 9: Bezeichnungen der Hauptdiagnoseeigenschaften
-  Tabelle 10: Bezeichnungen der Prozedureneigenschaften

Abb. 2: Basistabellen des NordDRG-Groupers

 
 

Erkenntnisse

Bei der NordDRG-Entwicklung stellte man fest, dass die im Vergleich zur ICD-9-CM präziseren Codierungsmöglichkeiten bei der Verwendung von ICD-10 und NCSP gelegentlich eine präzisere Zuordnung von Behandlungsfällen zu einzelnen DRGs möglich macht.

Das intensive Studium des HCFA-DRG Definitions Manual offenbarte im Weiteren einzelne Dokumentationsprobleme. Als Beispiel sei die Klassifizierung von Polytraumata oder von HIV-Erkrankungen erwähnt. Beim Versuch, z.B. Schädelfrakturen (800.00 oder 800.21 oder 800.23, gemäss ICD-9-CM, Band 1) im Zusammenhang mit Verletzungen der Niere und/oder der Beckenorgane (z.B. 866.00, 867.0) zu gruppieren, wird man - bei Verwendung des Anhanges B (Diagnosecode/MDC-Index) und des Übersichtsschemas zu Beginn von Kapitel 2 des DRG Definitionshandbuches - nicht in jedem Fall zur korrekten DRG-Zuteilung kommen. (Vgl. untenstehende Abb.)

Die konsequente Trennung von Steuerungsdaten und Programm ermöglicht eine einfache Wartung des erstellten Systems und die Konstruktion von neuen, landesspezifischen Patientenklassifikationssystemen in eigener Regie.  ¤  
 

Code CW ALOS  
ICD-9-CM, Band 1
800.00 H H H H            
800.21         H     s    
800.23           H     s  
866.00   s   s s s H H H H
867.0     s s           s
HCFA-DRG 15.0
029 0.64 3.5 x                  
028 1.17 6.0   x x   x          
332 0.62 3.6             x      
331 1.00 5.6               x    
487 1.92 7.5       x   x     x x

Abb. 3: DRG-Zuordnungen bei Polytrauma

Legende:
HHauptdiagnose
sSekundäre Diagnose
xZugeteilte DRG
 
CWKostengewicht
ALOSDurchschnittliche Aufenthaltsdauer
 
800.00    Geschlossene Fraktur des Schädeldaches ohne Angabe einer intrakraniellen Verletzung, ohne Spezifikation einer Bewusstlosigkeit.
800.21 Geschlossene Fraktur des Schädeldaches mit subarachnoder, subduraler und extraduraler Blutung, ohne Bewusstlosigkeit.
800.23 Geschlossene Fraktur des Schädeldaches mit subarachnoder, subduraler und extraduraler Blutung, mässige Bewusstlosigkeit (1-24 Stunden) mit Rückkehr zum vorherigem Bewusstseinszustand.
866.00 Unspezifische Verletzung der Niere ohne Angabe einer offenen Wunde in die Körperhöhle.
867.0 Verletzung von Harnblase und Harnröhre ohne Angabe einer offenen Wunde in die Körperhöhle.
 
029 Traumatischer Stupor und Koma, Koma < 1 Std., Alter > 17, ohne CC.
028 Traumatischer Stupor und Koma, Koma < 1 Std., Alter > 17, mit CC.
332 Andere Diagnosen der Niere und der Harnwege, Alter > 17, ohne CC.
331 Andere Diagnosen der Niere und der Harnwege, Alter > 17, mit CC.
487 Schweres Polytrauma mit anderen Diagnosen.
 
CC Begleiterkrankung oder Komplikation (comorbidity or complication)


Wichtigste Quellen: Zusätzlich ist seit Ende 1999 verfügbar:

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( Letztmals generiert: 27.04.2010 )