Fischer: Bei Eintritt noch nicht vorhandene Diagnosen.
Erweiterung des amerikanischen Medicare-Minimaldatensatzes um einen «Present on Admission»-Indikator.

Z I M - Streiflicht 2007(15)2       Nov. 2007


Bei Eintritt noch nicht vorhandene Diagnosen

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


Erweiterung des amerikanischen Medicare-Minimaldatensatzes
um einen «Present on Admission»-Indikator

      
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«Present on Admission»
(POA)


Ab 2009 wird es in den USA für bestimmte Komplikationen und Diagnosen, die erst während des Kranken­haus­aufenthaltes aufgetreten sind, keine Medicare-Vergütung mehr geben. Damit ist auch gleich die Frage geklärt, wozu der «Present on Admission»-Indikator, der seit Oktober 2007 erhoben wird, dienen soll: Der mit finanziellen Anreizen verknüpften Qualitätssicherung.

 

Im Medicare-Falldatensatz der Kranken­häuser muss zu allen diagnostizierten Krankheiten vermerkt werden, ob sie bei Eintritt bereits vorhanden waren oder nicht.

1 DHHS [POA Guidlines, 2006]: 1+5.

Terminierung:
Zeitpunkt des Antrags zur stationären Aufnahme

«Bei Eintritt» heisst gemäss den POA-Guidelines: im Moment des Antrages zur stationären Aufnahme ins Krankenhaus. (Bei Neu­gebo­renen gilt als Zeitpunkt der stationären Aufnahme die vollendete Geburt.)1

 

Bei Eintritt be­kannt sind also insbesondere chronische Krankheiten. (Es ist nicht nötig, sie extra neu zu diagnostizieren.) Ebenso Verdachtsdiagnosen, die bei Eintritt vermutet werden, sowie kongenitale Schädigungen. Im Weiteren folgt aus der Definition, dass auch Diagnosen, die z. B. während einer ambu­lanten Krankenhausbehandlung oder auf der Notfallstation auftreten, «bei Eintritt» als bereits vorhanden vermerkt werden sollen.

 
 

 

2 Freie Übersetzung des Autors gemäss CMS [POA, 2007]: 3.

Codierung

Der «POA-Indikator» wird wie folgt codiert:2

  • Y = Ja: Diagnose war bei Krankenhauseintritt vorhanden.
  • N = Nein: Diagnose war bei Krankenhauseintritt nicht vorhanden.
  • U = Unbekannt infolge unvollständiger Doku­men­ta­tion.
  • W = Klinisch unbestimmt: Der Leistungserbringer war nicht in der Lage, aus klinischer Sicht festzustellen, ob die Diagnose bei Eintritt vorhanden war oder nicht.
  • 1 = POA-Indikator muss für diese Diagnose nicht gemeldet werden.

3 Beispiele nach DHHS [POA Guidlines, 2006]: 10 ff.

Beispiele

Beispiele von Diagnosen, die bereits bei Eintritt vorhanden waren:3

  • Diabetes (Y), Asthma (Y), Bluthochdruck (Y).
  • Patient wurde zur genaueren Diagnostizierung bei Kachexie (Auszehrung) aufgenommen. Die Austrittsdiagnose lautete Lungentumor mit Metastasen (Y).
  • Oberschenkelfraktur (Y) infolge eines Sturzes aus dem Bett in der Notfallstation.

 

Beispiele von Diagnosen, die erst während dem Kranken­haus­aufenthalt auftraten:

  • Oberschenkelfraktur (N) infolge eines Sturzes aus dem Bett auf der Station.
  • Postoperatives Fieber mit Verdacht auf postoperative Infektion (N).
  • Lungenembolie (N) nach Bypass-Opera­tion.
  • Ein Patient wird mit Hepatitis B aufgenommen. Im Krankenhaus fällt er in ein Koma. Der ICD-Code zur «akuten Virushepatitis B mit Koma» erhält den POA-Code N, weil ein Aspekt der Diagnose (nämlich «mit Koma») erst nach Eintritt auftrat.

4 Konsequenterweise müssen solche Fälle auch von der Kosten­gewichts­berech­nung ausgeschlossen werden.

Qualitätsindikator, der mit finanziellen Konsequenzen verknüpft wird

Die Einführung des POA-Indikators ist interessant, da er gewisse Qualitätsaspekte messbar machen will. Ab 2009 soll er dann dazu verwendet werden, ausgewählte Diagnosen, die erst während des Kranken­haus­aufenthaltes auftraten, nicht mehr zu vergüten. Entsprechend markierte Diagnosen werden nicht mehr CC-relevant sein.4 Grundsätzlich ist dieses Anliegen systemkonform. Problematisch ist die Fokussierung nur auf ausgewählte Komplikationen. Damit besteht die Gefahr, die Gesamtqualität der Behand­lungen zu vernachlässigen, denn es entsteht ein grosser Anreiz, haupt­sächlich die aus finanzieller Sicht «kritischen» Diagnosen zu vermeiden oder möglichst bereits bei Eintritt zu diagnostizieren.

 

 


 

 

Andere Lösungen

Die Unter­schei­dung zwischen Krankheiten, die im Krankenhaus erworben wurden, und vorbestehenden Problemen ist nicht neu.

5 Vgl. CIHI [Grouping Methodologies, 2004]: 6.

Diagnosetyp im CMG-System

Im Minimaldatensatz zum kanadischen CMG-System wird seit mindestens 1997 zwischen Diagnosen «vor Eintritt» und «nach Eintritt» unterschieden.5

6 Vgl. PRI [PMC-Rel.5, 1993]; Fischer [PCS, 1997]: 211 ff + 480; Neubauer et al. [PMC-Prüfung, 1992]: 243 ff + 350.

Qualitätsindikatoren im PMC-System

Im PMC-System gab es eine Haupt­kate­gorie 44 «Chirurgische Komplikationen» mit 16 PMCs und seit der 5. Version zusätzlich eine Haupt­kate­gorie 50 «Komplikation/Ergebnis» mit 12 PMCs. Ausserdem wurden als spezielle Qualitätsindikatoren «Komplikationen» und «nosokomiale Infektionen» gemeldet.6

7 Vgl. Fischer [PCS, 1997]: 238; Gonella et al. [DS-ClinCrit, 1994].

«Disease Staging»:
Stadien der Krankheiten

Im Disease-Staging-System sind 95 Komplikationen definiert. Damit werden Komplikationsraten bestimmt. Wenn der aktuelle Patientenzustand sowohl bei Eintritt wie auch bei Austritt codiert wird, kann die Verbesserung oder die Verschlechterung des Krankheitszustandes im Verlaufe des Kranken­haus­aufenthaltes festgestellt werden.7

8 DIMDI [ICD-10-GM, 2007]: 690.

ICD-10-GM:
1 Code für externe Qualitätssicherung

In der ICD-10-GM existiert seit der Version 2008 in der Gruppe «Sekundäre Schlüsselnummern für Zwecke der externen Qualitätssicherung» ein (einziger) POA-Code: «U69.00!». Er steht für «anderenorts klassifizierte, im Krankenhaus erworbene Pneumonie bei Patienten von 18 Jahren und älter». Dieser Code muss nur von Kranken­häusern, die zur gesetzlichen Qualitätssicherung verpflichtet sind, zusätzlich zu den bisherigen ICD-Codes für Pneumonien rapportiert werden. Zu melden ist er bei Pneumonien, deren «Symptome und Befunde . . . frühestens 48 Stunden nach der Aufnahme in ein Krankenhaus auftreten oder sich innerhalb von 28 Tagen nach der Entlassung manifestieren.»8

 

Diese Bestimmungen zeigen, dass die theoretische Frage nach den «im Krankenhaus erworbenen Krankheiten» nicht immer einfach und ohne definitorische Hürdenläufe für die alltägliche Codierungspraxis umgesetzt werden kann.

 

 


 

Literaturverzeichnis

CIHI
Grouping Methodologies
2004
Canadian Institute for Health Information. Acute Care Grouping Methodologies: From Diagnosis Related Groups to Case Mix Groups Redevelopment. Background Paper for the Redevelopment of the Acute Care Inpatient Grouping Methodology Using ICD-10-CA/CCI Classification Systems. Ottawa 2004: 16 S. Internet: http:// secure.cihi.ca / cihiweb / en / downloads / Acute_Care_Grouping_Methodologies2004_e.pdf.
CMS
POA
2007
Centers for Medicare and Medicaid Services. Present On Admission Indicator Systems Analysis. CMS Manual System, Pub 100-04 Medicare Claims Processing. 2007: 7 S. Internet: http:// www.cms.hhs.gov / Transmittals / downloads / R1240CP.pdf.
DHHS
POA Guidlines
2006
Department of Health and Human Services. Present on Admission Reporting Guidelines. (Added to the Official Coding Guidelines October 1, 2006). 2006: 12 S. Internet: http:// www.cdc.gov / nchs / data / icd9 / POAguideSep06.pdf.
DIMDI
ICD-10-GM
2007
Deutsches Institut für Medizi­nische Doku­men­ta­tion und Information. ICD-10-GM, Version 2008, Systematisches Verzeichnis. Internationale statistische Klassi­fi­kation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification. Köln 2007: 724 S. Internet: http:// www.dimdi.de / dynamic / de / klassi / downloadcenter / icd-10-gm / version2008 /.
Fischer
PCS
1997
Fischer W. Patienten­klassifi­kations­systeme zur Bildung von Behand­lungs­fall­gruppen im stationären Bereich. Prinzipien und Beispiele. Bern und Wolfertswil (ZIM) 1997: 514 S. Auszüge: http:// www.fischer-zim.ch / studien / PCS-Buch-9701-Info.htm.
Gonella et al.
DS-ClinCrit
1994
Gonella JS, Louis DZ, Marvin EG. Disease Staging: Clinical Criteria. Fourth Edition, Ann Arbor (MEDSTAT Systems) 1994: 834 S.
Neubauer et al.
PMC-Prüfung
1992
Neubauer G, Demmler G, Eberhard G. Erprobung der Fallklassifikation «Patient Manage­ment Categories» für Krankenhauspatienten. Anlagenbericht: Klinische Überprüfung der Plausibilität für die Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden (Nomos) 1992: 356 S.
PRI
PMC-Rel.5
1993
PRI (The Pittsburgh Research Institute). Patient Manage­ment Categories. A Comprehensive Overview. Pittsburgh (The Pittsburgh Research Institute) 1993: ca. 65 S.

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( Letztmals generiert: 06.01.2012 )