Fischer: Grundlegende Fragen.

Z I M - Auszug PCS-Buch Jan. 1997


Grundlegende Fragen

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


Auszug aus dem Forschungsbericht
Patientenklassifikationssysteme, S. 25-29
(978-3-9521232-2-5)


      
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1

Warum müssen Behandlungsfälle gruppiert werden?

Leistungsdeklaration Um einen Krankenhausbetrieb als Unternehmen führen zu können, ist es u.a. entscheidend zu wissen, was im Krankenhaus Jahr für Jahr geleistet wird. Es ist nötig, die Leistungen zu deklarieren.
Einzelleistungen und Behandlungsfälle Wenn man von Leistungen des Spitals spricht, kann man dies auf zweierlei Arten verstehen: Einerseits gibt es im Krankenhaus eine sogenannte "Leistungserfassung". Damit werden die Tätigkeiten und verwendeten Sachmittel als Einzelleistungen erfasst. Andererseits ergeben alle Einzelleistungen zusammen die Behandlung des Patienten. Die Behandlungen der Patienten werden als Behandlungsfälle bezeichnet. Dies sind Leistungen des Spitals, für die Dritte ein Entgelt bezahlen.
-  Pflegetage, Fälle? Bisher war die Beschreibung der Leistungen des Spitals weitgehend darauf beschränkt, dass die Summe der Anzahl Pflegetage und die Summe der Anzahl Fälle berechnet wurden. Eine Erhöhung der Kosten pro Pflegetag bzw. der Kosten lässt nun aber nicht darauf schliessen, ob die Behandlung teurer geworden ist oder ob mehr oder andere Leistungen erbracht worden sind. Auch die Verfolgung der Entwicklung der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer (Anzahl Pflegetage pro Fall) lässt keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu: Es kann sein, dass Patienten mit gleichartigen Problemen behandelt und durchschnittlich schneller wieder entlassen worden sind. Es kann jedoch auch sein, dass die Probleme, mit denen die Patienten ins Krankenhaus kamen, weniger aufwendig zu behandeln waren.
-  Inhalt der Arbeit! Es ist nötig, über diese traditionell-administrative Sicht hinaus einen Blick auf das zu werfen, was im Spital wirklich gemacht wird. Es ist zu fragen, welche Art von Patienten behandelt wurden, wie sie behandelt wurden, weshalb so und so viele Pflegetage zur Behandlung nötig waren usw. Es ist nötig, den Inhalt der Arbeit, d.h. die "Produkte" des Spitals, zu benennen und zu beschreiben.
 
 

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2

Was sind Behandlungsfallgruppen (Patientenkategorien)?

Vergleichbarkeit der Einzelbehandlungen? Jede Behandlung ist ein Einzelauftrag. Sie ist abhängig von der besonderen Problemkonstellation des Patienten, von seiner Persönlichkeit und seiner Einstellung zu Gesundheit und Krankheit, aber auch von den Fähigkeiten und Ansichten des behandelnden Teams und nicht zuletzt von der Verfügbarkeit der Dienste anderer Institutionen des Gesundheitswesens. Es stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten die vielen Einzelaufträge im Spital haben.
Patienten-
klassifikations-
systeme
Um die Behandlungen einzelner Patienten und die dabei entstandenen Kosten vergleichen und beurteilen zu können, wurden Systeme geschaffen, mit denen Behandlungsfälle gruppiert werden: sogenannte Patientenklassifikationssysteme (abgekürzt: PCS). Die Klassifizierung geschieht durch die Zuordnung der Behandlungsfälle zu Behandlungsfallgruppen (Patientenkategorien). Diese sollen Behandlungen von Patienten enthalten, deren klinischen Probleme sich gleichen und deren Behandlungen erwartungsgemäss ähnlich viel kosten werden.

Einfacher formuliert:

Behandlungsfallgruppen sind
Beschreibungen von Produkten des Spitals

Weitere Produkte des Spitals Alle Leistungen, für die Dritte dem Krankenhaus ein Entgelt bezahlen, können als Produkte des Spitals (oder besser: als Krankenhausleistungen) bezeichnet werden. Nebst Behandlungsfallgruppen sind die ambulant erbrachten Einzelleistungen weitere patientenbezogene Krankenhausleistungen (z.B. ein Computertomogramm, das im Auftrag eines anderen Spitals erstellt wird, oder ein Konsilium). Nicht-patientenbezogene Krankenhausleistungen sind insbesondere die gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Dazu gehören (1) Bereitschaftsdienste z.B. von Notfallstation oder Intensivpflegestation, (2) Bereitstellung von Behandlungskapazitäten, wie z.B. Bettenvorhaltung oder Operationssäle, und (3) Lehre und Forschung.
 
 

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3

"Patientenklassifikation" oder "Patientenkategorisierung"?

Die beiden Begriffe Patientenkategorisierung und Patientenklassifikation werden - nebst weiteren - im deutschen Sprachraum mehr oder weniger synonym verwendet. Beide Begriffe bezeichnen Einteilungen, die ausschliesslich und umfassend sind. Ich verwende im Folgenden hauptsächlich den Begriff Patientenklassifikation, weil darin auch die Idee einer hierarchischen Struktur anklingt und weil im englischen Sprachraum zumeist die Zusammensetzung "Patient Classification System" verwendet wird (vgl. aber z.B. PMC = "Patient Management Categories").
Patienten-
klassifikations-
system und Patientenkategorien
Ein Patientenklassifikationssystem (PCS) ist eine systematische Ordnung von Patientenkategorien mit Bezeichungen und Definitionen. Die Definitionen stellen den Bezug zu den Kategorisierungskriterien her (z.B. Diagnosen, Prozeduren und Alter). Ein PCS beinhaltet meist auch eine Software ("grouper"), die die automatisierte Zuordnung von Patientenkategorien zu Behandlungsfällen aufgrund der gesammelten Kriterien erlaubt. Oft sind den Patientenkategorien sogenannte Kostengewichte beigefügt. Diese sind aber nicht zwingend Bestandteile eines Patientenklassifikationssystems.

Als Synonyme werden in dieser Arbeit betrachtet:

  • Patientenklassifikationssystem = Patientenkategorisierungssystem; Fallklassifikationssystem.
  • Patientenklassifizierung = Patientenkategorisierung; Patientengruppierung; Fallklassifizierung, Fallkategorisierung, Fallgruppierung.
  • Patientenkategorie = Patientengruppe, Behandlungsfallgruppe, Fallgruppe.
Weitere Begriffe Es folgen Definitionen einiger weiterer, in diesem Zusammenhang nützlicher Begriffe:
  • Konzept: Idee, die bezeichnet/klassifiziert werden soll. Konzepte können auf verschiedenen Abstraktionsebenen gebildet werden (vgl. z.B. "Diagnose", "Schlaf", "Schlafgewohnheiten, gestört", "Schlafunterstützung" und "Temperatur").
  • Terminologie: Sammlung von Begriffen samt ihren Definitionen aus einem Wissenschaftsbereich. Zur Beschreibung von Konzepten.
  • Thesaurus (Vokabular, Diktionär): Sammlung von Begriffen, evtl. nur für eine bestimmte Anwendung; kann auch Synonyme enthalten.
  • Nomenklatur: Systematische Liste von (standardisierten) Namen, zur Identifikation (Benennung) von Konzepten, z.B. die Namen der Infektionskrankheiten; die alphabetische Liste der Pflegediagnosen; SNOMED (Systematized Nomenclature of Medicine).
  • Klassifikation: Systematische Ordnung von Begriffen eines Wissenschaftsbereiches mit einer Tiefenstruktur.
  • Taxonomie: Klassifikationssystematik (Struktur, nach der eine Klassifikation aufgebaut ist; Gliederungsprinzip).
  • Lexem: Kleinste sprachliche Einheit von Klassifikationen, Nomenklaturen oder Terminologien mit nicht weiter zerlegbarer Information.
 
 

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4

Wie werden Behandlungsfallgruppen ermittelt?

Dokumentation
Fallrekord
Grouper
Ein wichtiges Prinzip von Patientenklassifikationssystemen besteht darin, dass die Behandlungsfallgruppen aufgrund von bereits vorhandenen Daten errechnet werden. Ausgangspunkt ist dabei die Patientendokumentation, die den Behandlungsprozess abbildet und unterstützt. Diese Daten werden codiert und pro Behandlungsfall in einem minimalen Datensatz (Fallrekord) gesammelt. Zur Gruppierung werden Gruppierungsprogramme (englisch: "grouper") eingesetzt.
 
 

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5

Worauf ist bei der Bildung von Behandlungsfallgruppen zu achten?

Wenn Patienten bzw. Behandlungsfälle gruppiert werden, sind folgende Fragen anzugehen:
  • Was soll überhaupt mit Behandlungsgruppen abgebildet werden?
  • Welche Kriterien sind nötig, um Behandlungsfälle zu charakterisieren?
  • Welchen Einfluss hat der Verwendungszweck auf die Auswahl der Klassifikationsmerkmale und auf die Gruppenbildung?
  • Ist die Bildung von Kategorien (eindimensionale Gruppierung) tatsächlich die geeignetste Methode? Sind mehrdimensionale Modelle nötig? Oder sollten Skalen zur Anwendung gelangen? Müssen alle behandelten Patienten klassifiziert werden können?
  • Die Gruppen sollen "gleichartige" Behandlungsfälle enthalten. Nach welchen Kriterien wird die Homogenität der gebildeten Gruppen beurteilt?
  • Was ist eigentlich ein "Fall"? Gehört z.B. die Diagnostik auch zum "Fall" oder nicht? Was geschieht mit Patienten, die extrem lange im Krankenhaus bleiben?
Wenn ein Patientenklassifikationssystem Grundlage für Leistungsstatistiken und Vergütungsmodelle sein soll, müssen weitere Überlegungen gemacht werden:
  • Wie kann das mittels Behandlungsfallgruppen dargestellte Patientenspektrum gewichtet werden, um das Leistungsvolumen als Ganzes und die durchschnittliche Leistungsintensität pro Behandlungsfall bestimmen zu können? (Bestimmung von Kostengewicht, Case-Mix und Case-Mix-Index.)
  • Wie können pro Behandlungsfallgruppe für Leistungserbringer und für Leistungseinkäufer akzeptable Preise festgelegt werden?
Abb. 1:
Beispielpatient
Zu behandelnde Gesundheitsprobleme und Ziele:
Diagnose: Tibiafraktur, offen, mit Gelenkbeteiligung
Ziele: Wiederherstellung der Funktionalität (Beweglichkeitsangaben in Grad . . .),
schmerzfrei,
. . . in 2 Monaten
Komplikationen während des Spitalaufenthaltes:
- keine
Nicht zu behandelnde Gesundheitsprobleme (Pflege, keine Therapie):
Beeinträchtigungen: leicht desorientiert; reduzierte Mobilität
Nebendiagnosen: Diabetes
Ziel: angemessene Betreuung
Soziales:
Wohnsituation: selbständig mit Angehörigen; Lift im Haus
Angehörige: Ehepartner, unterstützend
Ziel: Entlassung nach Hause
Weitere Patientenmerkmale:
Alter: 73 Jahre
Geschlecht: m
Essgewohnheiten: vegetarisch
Angaben zum Spitalaufenthalt:
Eintritt: notfallmässig
Versicherungsklasse: halbprivat
zu planender Austritt: nach Hause
Abb. 2:
Leistungen für den Beispielpatienten
 
 
Leistungen des Spitals Ärzte Pflege Paramedizin Beherbergung
Diagnostik Befundung; Beurteilung der Röntgenbilder und Laborwerte   Röntgenbilder; Laborwerte  
Operation/Therapie operativ: Osteosynthese mit Platte und Schrauben      
Nachsorge stationär Arztvisiten täglich durchwegs erhöhte Pflegeintensität:
. . . ;
Übergangspflege
3 Physio-Sitzungen stationär 5 Tage, Zweierzimmer
Nachsorge ambulant Nachkontrolle in 2 Monaten - 8 Physio-Sitzungen -
Rehabilitation keine (oder extern)      

 
 

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Fundstelle = http://www.fischer-zim.ch/auszuege-pcs-buch/Grundfragen-9701.htm
( Letztmals generiert: 06.01.2012 )