Fischer: Exkurs 2: Pflegekosten in der Rehabilitation.

Z I M   «Pflegediagnosen» (2. Auflage) Kapitel 2.3 1999


2.3
Exkurs 2:
Pflegekosten in der Rehabilitation

Wolfram Fischer

Zentrum für Informatik und wirtschaftliche Medizin
CH-9116 Wolfertswil SG (Schweiz)
http://www.fischer-zim.ch/


Seiten 19-22 aus:

Pflegediagnosen in Gesundheitsökonomie und Gesundheitsstatistik
978-3-905764-00-8

      
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Beispiel: TAR-Pflege-
klassifikation
Als Beispiel dafür, dass der Pflegeleistungsbedarf aus Pflegediagnosen bzw. Pflegediagnosen-ähnlichen Kriterien vergleichsweise gut erklärt werden kann, sei die Pflegekostenklassifikation aus dem TAR-Projekt erwähnt. 1

1 TAR = Leistungsbedarfsbezogenes Tarifsystem für Rehabilitationskliniken; vgl. Fischer et al. (TAR, 1998). - In der TAR-Erhebung wurden Daten von 274 Patienten in vier neurologischen Kliniken während drei Monaten erfasst. Für die Auswertungen waren Pflegezeiten von insgesamt 1716 Pflegewochen verfügbar.
 
 
Im TAR-Projekt konnten wir das Leistungsbündel "tägliche Pflege in der neurologischen Rehabilitation" anhand der Angaben zu den praktisch-motorischen und zu den kognitiven Beeinträchtigungen mit einem Erklärungsgrad von ca. 65% beschreiben.2 Es wurden sechs Pflegekostenkategorien gebildet ("P1" bis "P6"). Basisinformation war die Beurteilung des Patientenzustandes nach den 18 FIM-Items, für welche eine 7-stufige Messskala verwendet wird.

2 Vielfach liegen bei medizin-ökonomischen Patientenklassifikationssystemen die Erklärungsgrade (gemessen in Form der Varianzreduktion) für Tages- bzw. Fallkosten mehr oder weniger weit unter 50%, obwohl vielfach nebst Patientenmerkmalen auch noch Leistungsmerkmale als Gruppierungskriterien verwendet werden. - Die 44 Gruppen des RUG-Systems konnten Pflege- und Therapiezeiten pro Tag in amerikanischen Langzeitinstitutionen zu 55% zu erklären (Pflegezeiten allein zu 41%). Die 641 Gruppen des AP-DRG-Systems konnten in den USA die fakturierten Beträge von stationären Akutfällen zu ca. 47% erklären. Beide Systeme verwenden auch Leistungsmerkmale (RUG: Therapieintensität pro Woche; DRG: ärztliche Prozeduren). Vgl. Fischer (PCS, 1997): 329+189.
 
 
FIM versus Pflegediagnosen Mit dem Funktionalen Selbständigkeitsindex FIM3 werden Fähigkeitseinschränkungen gemessen. Ähnliche Aussagen können auch in Form von Pflegediagnosen formuliert werden, z.B.:
  • Selbstpflegedefizit beim Essen, Waschen, Kleiden, Ausscheiden;
  • Urin- und Stuhlinkontinenz;
  • beeinträchtigte körperliche Mobilität;
  • beeinträchtigte verbale Kommunikation;
  • beeinträchtigte soziale Interaktion;
  • veränderte Denkprozesse.

FIM-Messungen beinhalten also eine eingeschränkte Auswahl von Pflegediagnosen. Sie werden mittels einer 7-stufigen Skala bewertet.  
 


3 Granger/Brownscheidle (FIM); IVAR (FIM-Manual/d, 1997).
 
 
Abb. 10:
FIM-Items
MOTORISCHE ITEMS Summierte Bewertung:
13 bis 91 Punkte
A Selbstversorgung Essen / Trinken 1 bis 7
B Körperpflege 1 bis 7
C Baden / Duschen / Waschen 1 bis 7
D Ankleiden oben 1 bis 7
E Ankleiden unten 1 bis 7
F Intimhygiene 1 bis 7
G Kontinenz Blasenkontrolle 1 bis 7
H Darmkontrolle 1 bis 7
I Transfers Bett / Stuhl / Rollstuhl 1 bis 7
J Toilettensitz 1 bis 7
K Dusche / Badewanne 1 bis 7
L Fortbewegung Gehen / Rollstuhl 1 bis 7
M Treppensteigen 1 bis 7
KOGNITIVE ITEMS Summierte Bewertung:
5 bis 35 Punkte
N Kommunikation Verstehen 1 bis 7
O Ausdruck (sich verständlich machen) 1 bis 7
P Soziales Soziales Verhalten 1 bis 7
Q Problemlösungsfähigkeit 1 bis 7
R Gedächtnis 1 bis 7

Quelle: IVAR (FIM-Manual/d, 1997)

Abb. 11:
FIM-Bewertungsskala
Keine Hilfspersonen erforderlich
7 Völlige Selbständigkeit
6 Eingeschränkte Selbständigkeit (Hilfsvorrichtung oder Sicherheitsbedenken)
Eingeschränkte Unselbständigkeit
5 Supervision oder Vorbereitung
4 Kontakthilfe
3 Mässige Hilfestellung
Völlige Unselbständigkeit
2 Ausgeprägte Hilfestellung
1 Totale Hilfestellung

Quelle: IVAR (FIM-Manual/d, 1997)

Abb. 12:
TAR-FIM-Klassen
  Kognitive Beeinträchtigung
Sehr schwer Mittel bis schwer Minimal bis leicht
Praktisch-
motorische Beeinträch-
tigung
Sehr schwer
Zwölf klinisch/pflegerisch

bedeutsame Kombinationen

Schwer
Mittel
Minimal bis leicht

Quelle: Eigene Darstellung nachFischer et al. (TAR, 1998): 61

Abb. 13:
TAR-Pflegekosten-
kategorien
  Kognitive Beeinträchtigung
Sehr schwer Mittel bis schwer Minimal bis leicht
Kogn. FIM
5-10
Kogn. FIM
11-29
Kogn. FIM
30-35
Praktisch-
motorische Beeinträch-
tigung
Sehr schwer Mot. FIM
13-26
P6 P5 P4
Schwer Mot. FIM
27-55
P5 P4 P3
Mittel Mot. FIM
56-80
P2
Minimal bis leicht Mot. FIM
81-91
P4 P1

Quelle: Fischer et al. (TAR, 1998): 61

 
 
  P1 P2 P3 P4 P5 P6 Gesamt-
ergebnis
Pflege­stunden pro Tag Median 0.9 2.5 3.5 4.9 6.3 8.6 2.4
Durch­schnitt 1.1 2.7 3.8 5.4 6.6 9.0 3.5
Variations­koeffizient 0.69 0.54 0.43 0.42 0.44 0.32 0.93
Anzahl Pflegewochen 714 269 170 256 157 150 1716
  In % 42 % 16 % 10 % 15 % 9 % 9 % 100 %

Abb. 14: Statistische Kennzahlen der TAR-Pflegekostenkategorien

Quelle: Fischer et al. (TAR, 1998): 61  
 

Ärztliche und pflegerische Informationen In diesem Beispiel ist beachtenswert, dass in der definierten Umgebung "neurologische Rehabilitation" keine zusätzlichen ärztlichen Informationen nötig waren, um die Pflegeleistungen mit einem vergleichsweise guten Resultat allein aufgrund der Patientenzustandsbeschreibungen schätzen zu können; ja, es war sogar so, dass die ärztlichen Diagnosen in diesem Fall nichts zur Erklärung der Tageskosten beitrugen.4

4 Wenn man versucht, die gleichen Daten nach ärztlichen Diagnosen zu gruppieren, dann erreicht man einen Erklärungsgrad für die Pflegekosten (bzw. für deren Indikator Pflegezeiten pro Tag) von 9%. Wenn man nur die drei häufigsten Diagnosen CVI (Cerebrovaskulärer Insult), SHT (Schädelhirntrauma) und Rückenmarkserkrankungen nimmt, welche 81% der Fälle umfassen, dann erreicht man mit diesen drei Diagnosegruppen einen Erklärungsgrad von nur 3% für die Pflegekosten. - Beide Resultate sind so klein, dass sie als irrelevant zur Seite gelegt werden müssen.
 
 
Im Falle der Rehabilitation ist es des öftern schwierig, zwischen eigenständiger und delegierter Pflege zu unterscheiden, denn die Teamarbeit ist sehr ausgeprägt. So wird auch verständlich, dass die ärztlichen Verordnungen nicht als separate Parameter zur Bestimmung des Pflegebedarfes in Erscheinung getreten sind.

Der Vollständigkeit halber muss noch angefügt werden, dass die FIM-Klassifikation keine reine Pflegeklassifikation ist. Sie wird in der Rehabilitation von den Pflegenden, von den Therapeuten und von den Ärzten - d.h. also vom ganzen Team - als Basis für die Arbeit verwendet wird.

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Fundstelle = http://www.fischer-zim.ch/text-pdg/Pflege-Diagnosen-23-TAR-9901.htm
( Letztmals generiert: 06.01.2012 )